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Just one cornetto, mate

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Worte des Abschieds

Natürlich stirbt Hannes am Schluss, was denn auch sonst. Aber er ist nicht der Einzige. Im Kapitel 384 schafft er es endlich, sich Zugang zum Kopf seiner komatösen Mutter zu verschaffen und sich dort mit dem Vater der Nacht zu vereinen. Die dadurch erlangte Macht, die darauffolgenden Ereignisse (in erster Linie natürlich die fatale Kontaktaufnahme mit ausserirdischen Invasoren durch codierte, in Kornkreisen versteckte Botschaften) entfachen einen tausendjährigen globalen Feuersturm, der alles, was auf dem – wenigstens noch bis zu diesem Zeitpunkt – blauen Planeten existierte, vollständig und restlos in Schutt und Asche legt.

Tja. So läuft es eben manchmal. Aber hey, scheiss drauf. Davon geht die Welt nicht unter.

 

37: Wo warst du? 

«Wo warst du?»
Hannes überhörte die Frage und verschwand in seinem Zimmer. Er konnte es kaum erwarten, Meyers Blog zu checken. Sein Vater erschien in der Tür.
«Wo warst du, Hannes? Was machst du eigentlich?»
Kurt Steiner verschränkte die Arme vor der Brust und wartete auf eine Antwort.
«Hannes?»
Hannes fummelte beschäftigt an seiner Tastatur herum. «Ich habe gerade keine Zeit, Papa, kann ich später…»
«Wie bitte?» Kurt Steiner lachte ungläubig. «Keine Zeit?»
«Nun ja, ich, ehm…»
«Du hast keine Zeit, Hannes? Machst du dich über mich lustig?»
Hannes blickte ihn leer an. «Was willst du eigentlich?»
«Ich will wissen wo du warst. Was du den ganzen Tag machst. Wie es eigentlich weitergehen soll.»
Hannes zuckte mit den Achseln und wandte sich dem Bildschirm zu. Steiner trat unvermittelt einen Schritt vor, bückte sich und zog das Netzkabel aus der Steckdose.
«Hey, verdammte Scheisse!» Empört stand Hannes auf. «Du kannst doch nicht einfach…»
Kurt Steiner blieb unbeeindruckt.
«Von jetzt an will ich wissen, was du unternimmst um einen Job zu finden. Du sagst mir, bei wem du dich bewirbst. Du sagst mir, was sie dir sagen. Ist das klar, Hannes?»
Hannes seufzte und liess sich trotzig auf sein Bett fallen. «Trotzdem noch lange keinen Grund, einfach so den Stecker rauszuziehen», sagte er kleinlaut.

Mit ihrer Hand tastete Elisabeth nach dem Küchenstuhl in ihrem Rücken. Ohne ihn zu sehen, ohne irgendetwas zu sehen, liess sie sich unter Aufbietung aller zur Verfügung stehenden Willenskraft auf die glatte, kühle Sitzfläche sinken. Die Hände fielen schlaff an ihrer Seite herab, ihr Kopf kippte nach vorne bis das Kinn auf ihrem Brustbein auflag. Die Pupillen richteten sich nach oben, soweit, bis nur noch das rotgeäderte Weisse zu sehen war. Die Augenlider zitterten, flatterten, und schlossen sich schliesslich zuckend. Ihr Unterlippe löste sich von den Zähnen und ein schaumiger Speichelfaden rann aus ihrem Mundwinkel übers Kinn auf ihr hellblaues Nachthemd. Ein heiseres Glucksen war zu hören. Sonst nichts.

Ganz im Gegenteil zum ohrenbetäubenden Getöse in ihrem Kopf. Der Vater der Nacht war zu Besuch und dröhnte wutentbrannt durch ihr Gehirn, und der höllische Lärm seiner Stimme widerhallte in ihrem Schädel, stülpte das Trommelfell nach aussen und liess ihre Augäpfel vibrieren.

Irgendwann verlor ihr Körper das Gleichgewicht und sie rutschte langsam unter den Küchentisch. Das Kinn schlug auf die Tischplatte, dann wurde auch ihr Kopf von der unerbittlichen Schwerkraft nach unten gezogen und sie fiel seitlich auf den gefliesten Boden.

Als sie später erwachte war ihr Arm taub und lag über ihrem Gesicht wie ein abgetrenntes Körperteil. Mit ihrer anderen Hand wischte sie den fremden Arm zur Seite und rappelte sich dann mühsam auf. Sie beugte sich keuchend über das Spülbecken und erbrach sich geräuschlos. Elisabeth reinigte abwesend das Spülbecken und schlurfte durch die dunkle Wohnung ins Schlafzimmer, wo sie sich neben den schnarchenden Kurt unter die Decke legte und in tiefen, unheilvollen Schlaf sank.

36: Zeit zu gehen

Die grellen Leuchtziffern der Uhr im Regal. Linda seufzte und schloss die Augen. Sie strich mit der flachen Hand über seinen Bauch. Noch nicht, bitte…

Nach einer Weile stützte sie sich auf ihren Ellbogen, folgte mit dem Zeigfinger seinem Profil und fuhr mit gespreizten Fingern in seine Locken. Sie beugte sich über sein Gesicht und küsste ihn hart auf den Mund. Er umarmte sie und zog sie auf sich.

Linda stiess sich sanft ab, setzte sich rittlings auf seine Hüfte und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

«Zeit zu gehen…»

Philippe musterte sie mit träger Bewunderung. Er legte seine Hände auf ihre Knie und fuhr seitwärts ihre Oberschenkel entlang bis er ihre Pobacken umfasste. Er drückte zu.

«Okay, Zeit zu gehen.»

35: Für die Zeitungen

«Und?»

Andreas Meyer dehte sich um. Tom kam auf ihn zu und blickte ihn fragend an. Meyer schloss den Objektivdeckel seiner Digitalkamera und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Was sollte er schon sagen…

«Nun ja, dieser Kornkreis ist offensichtlich gefälscht.»

«Aha. Und das heisst?»

«Jemand hat ihn mit mechanischen Mitteln angelegt.»

«Also ist das da kein Kornkreis?»

«Nicht im eigentlichen Sinne, nein. Natürlich sehen wir einen Kreis im Korn, deshalb ist es aber noch lange kein Kornkreis im eigentlichen Sinne. Dafür gelten andere Kriterien.»

«Also sind alle mechanisch hergestellten Kornkreise falsch?»

Meyer seufzte. Er hasste dieses Gespräch. «Nun ja, man kann es auch so sagen.»

«Und wie entstehen die echten Kornkreise?»

Meyer blickte Tom lange an.

«Hören Sie, Sie finden die Antworten auf Ihre Fragen auf meiner Website.» Meyer warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr am Handgelenk. «Ich sollte mich jetzt auf den Weg machen.»

Er ging an Tom vorbei. «Und noch einmal herzlichen Dank für die Meldung. Es ist auch wichtig, die gefälschten Kreise zu dokumentieren.»

Tom folgte ihm zum Auto, wo Strahm mit einer Zigarette im Mundwinkel auf sie wartete. Meyer streckte die Hand nach dem Türgriff aus. «Herr Meyer? Noch eine letzte Frage…»

Meyer atmete laut durch die Nase aus und blickte sich um.

«Könnten Sie noch eine Aufnahme von meinem Freund Strahm und mir machen, da drüben im Feld? Für die Zeitungen?»

Meyer liess resigniert die Schulterblätter sinken und schüttelte langsam den Kopf. «Wissen Sie, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich die Zeitungen dafür interessieren.»

34: Aufgeben?

Hannes schmiss sein Fahrrad ins kleine Tannendickicht hinter dem Depot. Er wandte sich zum Zaun, zögerte, und lief dann durch den Wald hinüber zum Rand der kleinen Schlucht. Er traf auf den schmalen, steilen Pfad und schlitterte und stolperte hinunter auf die kleine Sandbank am Ufer des Bachs.

Hannes ging einige Meter weiter und setzte sich auf einen der grossen Felsbrocken am Wasser. Er versuchte sich zu beruhigen.

Wie um alles in der Welt kam Meyer in seinen Kornkreis? Da waren sicher diese… Bauern schuld. Verdammt, er war doch noch nicht so weit, so war das doch überhaupt nicht gedacht! Auch mit viel gutem Willen war dieser Kornkreis nicht mehr, als das, was er sein sollte: eine Übung. Und, Hannes wusste es eigentlich nur zu gut, eine schlechte Übung obendrein.

Sein Zustand schwankte zwischen Empörung und Entsetzen. Ganz klar, dass Meyer darauf nicht hereinfiel. Ganz klar, dass er sich auf seinem Blog ellenlang über diese stümperhafte Fälschung auslassen würde. Und ganz klar auch, dass diese Felder von nun an für Hannes gestorben waren. Jeder weitere Kreis würde natürlich besonders unter die Lupe genommen werden. Und würde dann ganz sicher dem selben Urheber zugeschrieben.

Hannes lehnte sich nach hinten auf den rauen, kantigen Fels und blickte in den Himmel. Sollte er jetzt aufgeben? Er tastete die Brusttasche seines Hemdes ab und zog die Zigarettenschachtel mit den vorgefertigten Joints heraus. Erst einmal einen paffen.

Ach ja, die Apple-Watch

«Eine Armbanduhr ist das stilistische Statement eines erwachsenen Menschen. Die Anpassungsfähigkeit des Produkts, gemeinhin ein Feature moderner Technik, ist hier explizit nicht erwünscht. Bei der Apple Watch jedoch gerät das Design zur kindischen Beliebigkeit.»

Stefan Kuzmany, Leiter des Bereichs Meinung und Debatte bei SPIEGEL ONLINE.

33: Deja-vu

Den kleinen Umweg liess sich Hannes nicht nehmen. Er flog mit dem Fahrrad über den holprigen Feldweg und das Zirpen der Heuschrecken am Wegrand war sein Soundtrack.

Wenn niemand zu sehen wäre, würde er vielleicht absteigen und ins Feld hineingehen, um seinen Kornkreis bei Tageslicht zu beurteilen. Hannes unterdrückte einen Jauchzer und strahlte vor Vorfreude. Er bog in den nächsten Feldweg ein und kniff ungläubig die Augen zusammen.

Da vorne stand ein Auto. Mitten auf dem Weg. Vor seinem Feld! Hannes verlangsamte und richtete den Oberkörper auf. Was zur Hölle… da war jemand im Feld! Sein wild pochendes Herz rutschte ihm in den Magen und schlug hart auf. Das war doch… unmöglich! Das Vorderrad polterte in ein Schlagloch und Hannes wäre beinahe gestürzt. Heftig keuchend fuhr er weiter und erreichte bald den dunkelblauen Kombi. Hannes spähte ins Feld und konnte nicht glauben, was er sah. Das unheimliche Erlebnis eines Déja-vu liess seine Kopfhaut prickeln.

Der Mann, der mit einer Digitalkamera in der Hand im Feld stand und seinen Kornkreis dokumemtierte war niemand anderes als Andreas Meyer. Die Ungeheuerlichkeit dieser Erkenntnis brachte Hannes zum Stillstand, und er starrte Meyer mit offenem Mund an.

«He!»
Erst jetzt bemerkte Hannes die zwei anderen Männer, die einige Meter von Meyer entfernt im hüfthohen Korn standen.
«He, du da…!»

Der jüngere der Beiden kam mit schiefem Grinsen auf ihn zu. Von Panik erfasst fuhr Hannes an und trat so heftig in die Pedale, wie es seine zitternden Beine zuliessen. An der nächsten Kreuzung bog er ab und verschwand hinter einem Maisfeld. Die kleine Staubfahne, die er hinterliess verflüchtigte sich schnell.

Tom zog sich die Schirmmütze tiefer ins Gesicht und ging zurück zu Strahm.
«Was’n mit dem los?», fragte Strahm.
«Hab ich schon öfter gesehen, den Jungen», grinste Tom. «Möglicherweise ein Ausserirdischer.»

Marlowe, schon wieder

«Ich hängte auf und zündete meine Pfeife wieder an und saß da und blickte gegen die Wand. Mein Gesicht war starr vom Nachdenken, oder von etwas, was mein Gesicht starr machte.»